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Interview mit dem Trends Magazine: "Flandern hätte auch Singapur an der Nordsee sein können"

Das bescheidene Milliardenunternehmen DOMO Chemicals aus Ostflandern schafft es, die bleierne Last der europäischen Energiekostenexplosion zu tragen. Aber Spitzenmanager Yves Bonte ist alles andere als beruhigt.      

Artikel und Interview von Bert Lauwers für Trends.be

Abseits vom Rampenlicht studierte der Westflame Yves Bonte zunächst die Spitzenwerte bei anderen weltweit agierenden Unternehmen wie LyondellBasell und Yara, bevor er CEO beim ebenso zurückhaltenden Familienunternehmen DOMO Chemicals wurde. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Gent wurde von Jan De Clerck gegründet, einem Nachfahren der De Clerck-Textilfamilie in West-Flandern. DOMO konzentriert sein Geschäft auf vielseitig einsetzbare Kunststoffpolyamide, die z. B. unerlässlich für die Automotive-Branche sind. DOMO war zunächst als Gruppe für Teppiche und Kunstrasen bekannt, verkaufte diesen Zweig jedoch im Jahr 2010. Bonte konnte sofort bei der Integration des europäischen Polyamid-Geschäfts anpacken, das direkt zuvor von Solvay aufgekauft worden war, wodurch sich die Größe des Unternehmens fast verdoppelt hat. DOMO bekam so auch den Markennamen Technyl in die Hand, der bei internationalen Kunden einen guten Ruf genießt. Nachdem die Integration des Solvay-Geschäfts seit diesem Frühjahr abgeschlossen ist, spricht der 61-jährige Bonte, der auch Chairman von DOMO Chemicals ist, erstmalig über die Zukunft des Unternehmens, das mehr als 2100 Mitarbeiter beschäftigt.

Was ist DOMO Chemicals?

YVES BONTE. „Ein Hersteller von Kunststoffen für Schlüsselbranchen. Der Automotive-Sektor generiert etwa die Hälfte unseres Umsatzes. Viele Teile unter der Motorhaube enthalten Polyamid. Auch die E-Mobilität ist sehr bedeutsam, denn um die Batteriebestandteile herum werden sehr viele Polyamide verarbeitet. Daher fügt sich Polyamid sehr gut in die Riesenumstellung vom internen Verbrennungsmotor zu Elektroauto ein, aber aufgrund seiner Robustheit, Hitzebeständigkeit und Feuerfestigkeit auch in die Wasserstofftechnologie. Des Weiteren spielen wir eine große Rolle im Bereich Elektronik und Elektrizität – ein Wachstumssegment – insbesondere im Baugewerbe. Ihr Schaltbrett mit Sicherungen? Fast alle aus Polyamid. Unsere Produkte sind aber genauso gut in Laptops und Smartphones. Auch die Chip-Branche benötigt Polyamid. Genau wie die Schienen-Infrastruktur zur Absorbierung von Vibrationen und die Konsumgüterbranche für Bohr- oder Schleifmaschinen oder Küchengeräte.“

Konzentriert sich DOMO ausschließlich auf Polyamid?

BONTE. „Fast ausschließlich. Hier gibt es zwei große Familien, Polyamid 6 und 66, wobei 66 etwas hochwertiger ist. DOMO hatte vor allem 6 in seinem Portfolio, bei Solvay war es hauptsächlich 66. Dies war der Hauptgrund für den Kauf. Für 6 sind wir die jetzt Nummer zwei in Europa, für 66 die Nummer eins.“

Wer sind die Kunden?

BONTE. „Wir beliefern Firmen mit Polyamid in Granulatform bzw. Pellets und die produzieren daraus dann Fertigteile. Beispielsweise stellen sie ein vollständiges Dashboard her, das unsere Polyamidkomponenten enthält. Diese liefern sie dann an Autohersteller.“

Wie spiegelt sich das in den Ergebnissen wider?

BONTE. „Vor Covid schrieben wir Verkaufszahlen von 1,6 Mrd. Euro. Im vergangenen Jahr stiegen sie auf 1,9 Mrd. an und ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr die 2-Milliardengrenze überschreiten werden. Die Rentabilität ist im Wesentlichen stabil geblieben. Ich kann nur sagen, dass unsere EBITDA-Margen praktisch immer leicht im doppelstelligen Bereich liegen. Zu Beginn von Covid im Jahr 2020 war es schwierig, aber in der zweiten Jahreshälfte holten wir wieder auf, sodass selbst das Jahr verhältnismäßig gut war.“

Produziert DOMO hauptsächlich in Europa?

BONTE. „Wir haben auch Betriebsstätten in China, Indien und den Vereinigten Staaten, aber das Fundament von DOMO ist tatsächlich in Europa, hauptsächlich in Deutschland, Frankreich, Spanien, Polen und Italien. Es hatte bereits einen Anstoß gegeben, das Wachstum in anderen Teilen der Welt auszubauen und ich habe das gefördert. Vor zwei Jahren entfielen auf Europa fast 92 Prozent aller Verkäufe. Jetzt sind es weniger als 90 Prozent und da wir eine Fabrik in China haben, werden die Zahlen systematisch sinken.“

Die Integration ist abgeschlossen, heißt das, dass die Zeit reif ist für einen weiteren Ankauf?

BONTE. „Zunächst müssen wir sicherstellen, dass wir diese Energiekrise ordentlich überstehen. Die Polyamidproduktion ist extrem energieintensiv, selbst im Vergleich zu anderen Kunststoffen. Wir sitzen jedoch nicht niedergeschlagen in der Ecke und schauen zu, was mit unserer Energie passiert. Wir strengen uns an, unsere Lieferkette anzugleichen und irgendwann werden wir auch die Produktion den echten Marktansprüchen anpassen müssen. Das ist noch nicht vollständig wiederhergestellt. Insbesondere die Automotive-Branche fährt deutlich niedriger. Vor Covid wurden jährlich etwa 21 Millionen Autos hergestellt, jetzt sind es 15 bis 16 Millionen. Da ist also bereits ein Wandel in den Marktansprüchen zu sehen. Größere und teurere Autos werden gebaut und darin wird mehr Polyamid verarbeitet.“

DOMO produziert nicht in Belgien wie beispielsweise Solvay. Verlieren wir unsere Industrie?

BONTE. „Trotzdem ist DOMO ein sehr starkes belgisches Unternehmen. Der Hauptgeschäftssitz ist in Belgien und der Gesellschafter ist Belgier. Das Problem ist aber nicht, ob es flämisch oder belgisch ist, sondern es geht darum, dass in Europa die Energiekosten achtmal so hoch sind wie in den USA oder anderen Regionen. Das ist auf Dauer nicht tragbar. Europa hat seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Regionen verloren. Die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten haben die große Verantwortung, diese Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen. Ansonsten wird der Industrie ein struktureller Schaden zugefügt, einschließlich in Flandern, und das betrifft nicht nur die Chemiebranche, sondern wird sich auch auf die anderen Sektoren auswirken. Ohne Chemie gibt es nämlich keine Automotive-Branche, kein Baugewerbe und auch keine Verpackungsbranche.“

Besteht die Gefahr, dass Europa zum industriellen Außenseiter der Welt wird?

BONTE. „Zum ersten Mal seit Jahrzehnten importiert Europa mehr Chemikalien, als es exportiert. Das ist ein Warnsignal. Wir stecken mitten in einer dreifachen Krise. Die Energiekrise schürt die Wirtschaftskrise und zur selben Zeit steckt die Chemie in einer riesigen Umwandlung weg von einer kohlenstoffbasierten Industrie hin zur Nachhaltigkeit. Wir haben etwa zwanzig Jahre, um diese Branche vollständig auf die Kreislaufwirtschaft umzustellen. Das muss jedoch alles finanziert und technologisch abgewickelt werden. Ich stimme voll und ganz zu, dass der Grüne Deal erreicht werden muss. Aber wie? Wie schnell? Hierzu müssen wir uns mit der Europäischen Kommission intensiv austauschen, um klarzustellen, was machbar ist.“

Sie vergessen da noch eine andere Krise: die Imagekrise von Kunststoffen und der Chemie im Allgemeinen.

BONTE. „Versuchen Sie sich eine Welt ohne Kunststoffe vorzustellen. Ihr Auto würde nicht existieren, Ihre Küchengeräte... Kunststoffe bringen riesige nachhaltige Verbesserungen in den Alltag der Menschen und gestalten das Leben sicherer.“

Nachhaltigkeit ist ja gut und schön, aber wie sieht es mit dem Recycling von Polyamiden aus?

BONTE. „Polyamid lässt sich mehrmals recyceln. Man kann es zum Beispiel aus einem Autoteil extrahieren, zermahlen und neu in ein anderes Teil formen. Es verliert auch nach diversen Schritten in der Produktion oder beim Recycling keine seiner inhärenten Eigenschaften. Wir sind Marktführer bei recyceltem Polyamid. Mehr als 10 Prozent unserer Gesamtproduktion basiert auf recyceltem Material und wir möchten das auf mindestens 20 Prozent erhöhen.“

Sie haben viele Jahr im Ausland gearbeitet. Was ist Ihnen aufgefallen, seit Sie nach Belgien zurückgekehrt sind?

BONTE. „Nichts Weltbewegendes, obwohl ich das Gefühl hatte, dass wir in einer sehr individualistischen Gesellschaft leben. Ich habe fünf Jahre in Asien gelebt. Der Sinn für das Kollektive hat dort einen viel höheren Stellenwert. Hier, scheint mir, wird dem weniger Aufmerksamkeit geschenkt und auch der Stolz, gemeinsam etwas für sein Land zu erreichen, scheint geringer zu sein. Das ist schade, genau wie das ständige Absinken bei Bewertungen, wie z. B. bei der Bildung. Das stört mich. Man merkt ganz deutlich, dass wir etwas selbstzufrieden geworden sind. Wir lesen zwar solche Statistiken, aber schaffen es nicht zu sagen „jetzt ist es aber genug“, und dann daran zu arbeiten, das Ruder herumzureißen. Viele unserer Strukturen und Systeme sind komplex und die Diskussionen dazu gehen in dieser Komplexität unter. Das Ergebnis ist, dass die wirklichen Probleme des Landes nicht mehr im Zentrum stehen. Und dass, obwohl Flandern (und somit auch Belgien) mit seinem Potenzial an Welthäfen, Wissen und Unternehmern das Singapur an der Nordsee hätte sein können.“

DOMO ist relativ unbekannt. Stört Sie das nicht?

BONTE. „Damit habe ich überhaupt kein Problem. Wir sind nicht an der Börse gelistet. Somit sind wir auch nicht jedes Quartal im Visier von Finanzanalysten und den Medien. Aber innerhalb der Branche sind wir sehr bekannt, weil wir Dinge bewegen. Technyl ist 70 Jahre alt und eine Ikone der Branche. Reden Sie einfach mal mit Kunden in anderen Teilen der Welt: die kaufen kein Polyamid, sondern Technyl Nr. so und so. Darauf können wir aufbauen und unser Geschäft voranbringen.“

Wie sehen Sie die Zukunft?

BONTE. „Wir sind Marktführer in der Nachhaltigkeit und in der Lage, unseren Kunden in andere Teile der Welt zu folgen. Wir bemerken ganz deutlich, dass wir vor einigen unserer großen Konkurrenten Projekte gewinnen. Dies ist ein Unternehmen mit vielen Möglichkeiten. Wir werden daher vor allem außerhalb von Europa wachsen. Wir bauen eine neue Fabrik in China und gehen von Expansionen in den USA und Indien aus. In Europa investieren wir vor allem in die Nachhaltigkeit unserer Produktionssysteme. Wir haben eine Partnerschaft mit der EDF -Tochter Hynamics gebildet, um eine grüne Anlage zur Wasserstoffproduktion in Frankreich zu bauen. Wir benötigen sehr viel Wasserstoff für die Herstellung von Polyamid 66.“

Soll DOMO langfristig unabhängig bleiben?

BONTE. „DOMO ist ein Familienunternehmen, aber das heißt nicht, dass andere Optionen ausgeschlossen werden. Wenn sich Möglichkeiten ergeben, sollten sie in Betracht gezogen werden. Dazu gibt es hier keine Dogmen. Die einzige Frage, die sich stellt, ist, ob die Möglichkeit einen echten Wert für das Unternehmen und den Gesellschafter kreiert.“

Hat es schon an der Tür geklopft?

BONTE. „Diese Branche durchläuft einen riesigen Wandel. Es wäre eine Überraschung, wenn sich nichts in der aktiven Landschaft der Kunststoffe und Chemikalien tun würde. Für DOMO gibt es da jedenfalls nichts Konkretes im Moment. Und dass wir eine hohe Nachfrage haben? Umso besser.“

Hätten Sie Angst, dass die De Clerck-Familie die Rolle der Schwiegermutter einnehmen könnte?

BONTE. „Nicht wirklich, denn wir haben sehr genau besprochen, wie ich das Unternehmen leiten möchte. Das war alles sehr entspannt. Und ein Familienunternehmen hat auch Vorteile. Die Gespräche und Entscheidungen sind sehr kurz und deutlich. Das erlaubt mir, schnell zu agieren.“

Dies ist eine freie englische Übersetzung eines Artikels, der ursprünglich auf Niederländisch auf trends.be erschien. Den Originalartikel "Vlaanderen had het Singapore aan de Noordzee kunnen zijn" finden Sie hier. Alle Urheberrechte gehören dem Trends Magazine.